Ein Gastbeitrag von Cornelia Weidenauer.
Vielleicht befindest du dich auch in dieser Situation: Der Frühling naht und es wird Zeit, eine Entscheidung bezüglich des Einreitens deines Jungpferdes zu treffen. Du überlegst ob, wo und wie lange du deinen Schützling zum Anreiten und zum weiterführenden Beritt geben sollst.
In diesem Beitrag erfährst du,
- wie du dein Pferd optimal auf das Anreiten vorbereiten kannst.
- wie du den Einreitprozess nutzen kannst um deine Beziehung zu deinem Pferd zu stärken.
- wie du dein Pferd zu einem sicheren und fröhlichen Partner machst.
- auf was es beim Einreiten wirklich ankommt.
Eine Grundsatzentscheidung – Junge Pferde zum Anreiten weggeben oder selbst einreiten?
Ich finde es schön, wenn Menschen ihre Jungpferde ein Stück des Weges begleiten, je nach Situation soweit es eben sinnvoll und gut machbar ist.
Egal ob du dich entscheidest, die erste Person auf dem Pferderücken zu sein oder die ersten Schritte einem Profi zu überlassen, triffst du deine Entscheidung basierend darauf, dass du das Beste für dein Pferd möchtest.
Ich möchte dich dazu ermutigen, dir Wissen anzueignen, zu lernen und dir Hilfe zu holen um das Einreiten als die mega Beziehungschance, die es ist, zu nutzen. Denn bedenke: Einen Großteil dessen, was dein Pferd ab sofort erlebt, erlebt es zum ersten Mal und es ist somit wegweisend für seine Zukunft als Reitpferd.
Ja keinen Fehler machen
Am schönsten wäre es vermutlich, wenn ein Pferd „nur gute“ Erfahrungen machen könnte. Wenn Ängste und falsche Bewegungsmuster gar nicht erst installiert würden, die man dann über Jahre mitschleppt. Oder unter Mühen und mit viel Zeit wieder korrigieren muss.
Keine Fehler – kann das überhaupt jemand? Du? Ein Profi? Aus meiner Erfahrung ist es wichtig, sich frei davon zu machen, dass es ohne Fehler geht. Sie gehören zu jedem Pferde- und Menschenleben und jedem Lernprozess dazu.
Wie fast alle Entwicklungsprozesse verläuft auch die Arbeit mit dem Pferd in den seltensten Fällen linear. Meistens gibt es Auf und Abs und Überraschungen. Manches ist viel leichter als man dachte… anderes ist wesentlich zeitintensiver als veranschlagt. Letztlich ist es eine gemeinsame Kommunikationsentwicklung und damit die Chance für dich und dein Pferd.
Betrachtest du die Entwicklung deines Reitpferdes wie ein großes verschachteltes Haus mit vielen schönen Zimmern, dann gebe ich dir nun den passenden Schlüsselbund an die Hand.
Die drei Schlüssel zur sicheren Remonte
- Desensibilisierung für alles, wovor das Pferd sich nicht mehr fürchten soll
- Sensibilisierung für alles, auf das das Pferd in einer bestimmten Art und Weise reagieren soll
- Das Fluchttier Pferd zu einem lösungsorientierten Reitpferd machen
Und nun nochmal im Detail.
Desensibilisierung – das Pferd lernt dann, wenn der Druck verschwindet, nicht wenn er da ist
Desensibilisierung meint alles, was du mit dem Pferd tust und bei dem du keine andere Reaktion möchtest als:
Ein entspanntes Abkauen, stehenbleiben, weiterlaufen, atmen, blinzeln oder eben einfach gar nichts. Das Pferd soll unser Material kennen lernen, von Strick, über das Halfter, alles an Putzzeug, Sattel, Gebiss und Trense, Longiergurt, Peitsche, Gerte… Dazu gehört auch die Desensibilisierung auf den menschlichen Körper, wie er sich anfühlt, anhört, wie er aussieht, wenn er sich bewegt.
Sensibilisierung – kannst du mal einen Schritt nach links machen?
Wann möchtest du, dass dein Pferd reagiert, wann nicht? Eigentlich hast du hier ein schönes Kontrastprogramm. Die pure Kommunikation. Desensibilisierung vs. Sensibilisierung.
Trau dich, deinem Pferd zu sagen was du wie haben möchtest. Erinnere dich, das hatten wir schon: ein Pferd lernt, wenn der Druck aufhört, nicht solange er da ist. Es ist also wichtig in einem Moment der Unsicherheit freundlich dran zu bleiben bis das Pferd eine Idee in die richtige Richtung anbietet. Entspannst du dich dann augenblicklich, lässt alle Hilfen sinken und bietest ihm mit Stimme und Berührung ein Lob an, wird sich dein Jungpferd schnell zu einem handlungsbereiten, ruhigen Partner entwickeln. Denn Klarheit und Verlässlichkeit sind Eigenschaften, nach denen ein Fluchttier wiederum bei seinem Gegenüber sucht.
Konkret bedeutet das, gemeinsam zu üben, sich über die Bewegungsrichtungen einig zu sein. Wann ist was gefragt? Die Bewegungsrichtungen eines Pferdes sind übrigens sechs an der Zahl: rückwärts, vorwärts, links, rechts, hoch, runter. Vor dem ersten Aufsteigen ist es klug, alle Richtungen abfragen zu können, wobei sich hoch und runter wahrscheinlich erstmal auf ein Absenken des Halses oder das Geben der Hufe beschränken.
Konkrete Bewegungsmuster, die du gut mit deinem Pferd drauf haben solltest:
- Weichenlassen der Vorhand und der Hinterhand
- Hals absenken
- Hufe geben
- Rückwärts und vorwärts bewegen
Stimmsignale und Lob unterstützen zusätzlich das Gelingen der Übungen. Und falls du Unterstützung bei der Ausführung brauchst: gute Bodenarbeitstrainer gibt es spartenübergreifend, bestimmt auch in deiner Nähe.
Vom Klaustrophobiker zum Scrabble Master
Als Fluchttiere haben Pferde mit allem ein Problem, das ihnen wie eine Falle vorkommt. Es lässt sich leicht eine Handvoll Dinge aus jedem Ärmel schütteln, die in konventionellen Pferde-Mensch-Begegnungen fest zum Alltag gehören.
Einige Beispiele: Sattel und natürlich der Sattel- oder Longiergurt, Anbinden, Hängerverladen, Hufe geben…
Zugegeben lässt sich das schnell vergessen, denn die meisten Pferde, die uns begegnen, sind an alles mögliche schon gewöhnt. Das junge Pferd zeigt in der Regel noch das volle Repertoire des Fluchttieres angesichts einer Einengung. Und das reicht von Abstand zwischen sich und das Objekt bringen bis zu panisch „in das Objekt hinein rennen“ oder Gegenwehr.
Engpässe und Fluchttier-Angst-Situationen zu üben, bedeutet für mich vor allem eines: Dem Pferd alternative Handlungsmuster anzutrainieren. Deshalb gehört es hier zu meinen drei Favoriten.
Mit dem Sammeln von Erfahrungen mit verschiedenen Objekten wird das Pferd zu einem klugen Puzzlelöser anstelle einer unberechenbaren Rakete. Es lernt auf lange Sicht besser mit Stress umzugehen und kann im Falle einer Unsicherheit auf verschiedene Alternativen zurückgreifen.
Schöne Trainings-Engpässe können Sprünge, Hütchen oder Flatterbänder sein. Aber, wie bereits angedeutet, zählt auch unser Equipment, allen voran der Sattel und am Schluss wohl der Reiter selbst dazu. Meine Lieblingsstrategie ist Annäherung und Rückzug, wobei du dich mit einem Objekt näherst bis, bis du merkst, dass die Angstschwelle fühlbar wird und dich dann ein Stück entfernt, um dich dann erneut zu nähern. Das machst du solange, bis dein Pferd bei der Annäherung entspannt bleibt.
Du bist der Anwalt deines Pferdes… und seine Mama
Nun hast du einiges, was du üben und ausprobieren kannst. Es gibt keine festen Regeln, es ist nur Kommunikation zwischen dir und deinem Pferd. Werde dir gewahr, welche Verantwortung du für dein Pferd trägst und genieße diese Aufgabe. Beschütze es und hilf ihm, wie ein Fisch im Wasser in unserer Lebenswelt zu schwimmen.
Du schaffst die besten Voraussetzungen für dein Pferd ein sichereres Reitpferd zu werden. Die kleinen Übungen werden deinem Pferd genug Zeit geben, langsam in seine neue Aufgabe hinein zu wachsen, die Kultur in der es fortan leben wird, zu begreifen, sein Skelett in Ruhe auswachsen zu lassen um dann hoffentlich viele Jahre körperlich und mental gesund an deiner Seite zu sein.
Mehr Übungen sowie meine Jungpferdephilosophie erfährst du in meinem Buch „Aller Anfang ist leicht“ . In meinem Buch “Voller Vertrauen” geht es um einen respektvollen Umgang zwischen Pferd und Mensch. Oder nimm gerne über mein Instagram Profil @cornelia_weidenauer oder meine Homepage Kontakt zu mir auf.
Alles Liebe, Cornelia