Kennst du das? Du hast heute Unterricht und wolltest gerne am Galopp arbeiten, der im letzten Training so gut geklappt hat. Stattdessen klappen auf einmal die „Grundlagen“ nicht mehr. Z.B. hebt sich dein Pferd ohne für dich ersichtlichen Grund immer wieder raus. Du wirst zunehmend frustrierter und spürst die Wut in dir aufsteigen wie eine dunkle Welle.
Die Gefahr, dass du dich deinem Pferd gegenüber ungerecht verhältst, ist in Situationen wie dieser am größten. Gelingt es dir nicht, dich zu beherrschen, und du gibst eine grobe Schenkelhilfe oder ziehst gefühllos im Maul, ist das schlechte Gewissen hinterher riesig. Ganz abgesehen davon, dass das Problem damit nicht gelöst ist, sondern im Gegenteil, sogar noch verschlimmert wird.
In diesem Beitrag lernst du,
- Warum dein Ehrgeiz beim Reiten und die Wut oft Hand in Hand gehen
- Wie du konstruktiv mit deiner Frustration umgehen kannst
- 5 Punkte, mit denen du innerlich gelassen bleibst und der Problemlösung einen Schritt näher kommst
Wut ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit
Um die Wut beim Reiten loszuwerden, ist es wichtig, dass du verstehst, woher die Wut überhaupt kommt. Schließlich liebst du dein Pferd und möchtest für es nur das Beste.
Der Knackpunkt ist, dass Wut oft ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist.
Immer dann, wenn du keinen Lösungsansatz für das Verhalten deines Pferdes hast, fühlst dich ein stück weit ohnmächtig der Situation gegenüber. In deinem Inneren fühlst du dich hilflos, weil du deinem Pferd nicht vermitteln kannst, was du von ihm willst. Oder du kannst gar nicht erst verstehen, warum dein Pferd nicht so “funktioniert” wie gewohnt oder gewünscht. Diese Ohnmacht äußert sich, je nach Menschentyp, in Wut oder auch Resignation. Neigst du dazu, wütend zu werden, ist in diesen Momenten die Gefahr besonders groß, dass du ungeduldig und ungerecht wirst.
Verstärkt wird das Ganze dadurch, dass das Training deines Pferdes dir eine Herzensangelegenheit ist. In den Bereichen, wo wir mit ganzem Herzen agieren, schlagen die emotionalen Wellen besonders hoch. Eine gelungene Zeit mit deinem Pferd macht deinen ganzen Tag schöner. Ein misslungenes Training hängt wie eine Regenwolke über dir. Wäre es dir egal, wie dein Pferd reagiert, würde es nicht so starke emotionale Reaktionen auslösen. Die Star Wars Fans wissen es längst: Die Wut ist die dunkle Seite der Macht.
In dieser Emotionalität verbergen sich gleich zwei gute Nachrichten:
- Du hast eine starke Motivation, dein Verhalten zu ändern. Nämlich die Liebe zu deinem Pferd. Für dein Pferd möchtest du die beste Variante deiner Person sein.
- Wenn du deine Wut als “Unwissenheits-Indikator” begreifst, bekommst du Abstand zur Situation. Von jemandem, bei dem die Emotionen das Ruder übernehmen, wirst Du gewissermaßen zum Beobachter, in dem du das Problem analysierst und überlegst, auf welche Ausbildungsfrage du noch keine Lösung hast. Je mehr Lösungsansätze du für euer Problem hast, desto seltener wirst du wütend werden.
Beispielsweise drängt dein Pferd auf der rechten Hand massiv nach außen. Das Reitgefühl ist nicht schön: Du fühlst viel Gewicht auf deinem inneren Zügel und hast das Gefühl, permanent nach innen gegensteuern zu müssen. Zweimal ist dir dein Pferd schon beim Reiten auf dem Zirkel nach außen ausgebrochen.
Wenn du (noch) nicht weißt, woran das liegt, ist das vermutlich der Moment, in dem du langsam merkst, wie die Wut an der Innenseite deines Bauches hinauf kriecht. Vielleicht wird dein Hals auch ganz eng.
Wenn du in diesem Moment durchparierst und analysierst was passiert, unterbrichst du deine emotionale Reaktion. Du überlegst rational, woran es liegen könnte und was für Lösungen es geben könnte.
Wenn du dir dich vorstellst, wie ein Auto, in dem deine ganzen Emotionen und auch die Vernunft Mitfahrer sind, ist die Vernunft sicherlich immer der beste Autofahrer. Die Wut solltest du nie ans Steuer bzw. die Zügel lassen.
Mehr dazu, deine Einheit gut zu planen und dein Vorgehen immer wieder zu überprüfen erfährst du in diesem Blogartikel und in diesem Blogartikel.
Erkenne deine Reit-Trigger
Natürlich gibt es oft Situationen, in denen wir die Lösung (noch) nicht kennen. Hier hilft es nur, sich auf den Weg zu machen. Kann dir deine Reitlehrerin plausibel erklären, woher das Problem kommt und wie du trainieren kannst, um es aufzulösen? Super! Dann ist es nur wichtig, dass du mit ihr besprichst, dass dich das Thema emotional triggert, damit ihr da einen besseren Umgang mit finden könnt.
Wenn du aber mit der Antwort nicht so richtig zufrieden bist, forsche weiter. Meiner Erfahrung nach ist das Bauchgefühl eines Reiters da immer der beste Ratgeber.
Wissensdurst gegen Ungerechtigkeit beim Reiten
Innere Ruhe beim Reiten, Lösungsorientiertheit und positive Verstärkung hat kein Mensch mit in die Wiege gelegt bekommen.
Auch wenn du im Moment noch das Gefühl hast, dass du diese Stärken nicht oder nur wenig dein eigen nennst, kannst du sie trainieren. Nicht nur unser Körper lässt sich durch Training und Fokus verändern, unsere Verhaltensmuster ebenso!
Ich bin da ein gutes Beispiel für: Als Jugendliche war ich recht ungeduldig und leider auch nicht immer fair, wenn es ein Problem gab. Nachdem ich unbeherrscht war, habe ich mich immer furchtbar schlecht gefühlt und es tat mir meinem Pferd gegenüber natürlich auch total leid. So wollte ich als Mensch für mein Pferd nicht sein. Deswegen war ich schon immer auf der Suche nach sinnvollen Ausbildungsabläufen. Je mehr ich verstanden habe, desto seltener gab es Anlass, wütend zu werden. Ich habe mich nicht mehr so hilflos gefühlt. Heute gibt es für mich natürlich immer noch viel zu lernen, aber ich kann die schwierigen Situationen gelassenen nehmen, weil ich weiß, dass es Lösung für sie gibt. (Auch wenn ich sie vielleicht noch nicht herausgefunden habe.)
Meine 5 besten Punkte, um beim Reiten gelassen zu bleiben
- Wenn du merkst, dass du unbeherrscht wirst – sozusagen deine Emotion die Zügel in die Hand nehmen – pariere durch und atme tief durch. Mach dir bewusst, dass du deinem Pferd in die Augen schauen können solltest bzw. willst, wenn du absteigst.
- Versuche sachlich zu analysieren was dich gerade so auf die Palme bringt. Formuliere das Problem wirklich aus, so als ob du es deiner Trainerin erzählen würdest. Du wirst bemerken, dass du durch das Ausformulieren neue Ideen bekommst. Und es schafft schon innerlich eine Distanz zu dem Problem: Du beschreibst es, dann “bist” du es nicht mehr. Eine Situation in der du mitten drin steckst, kannst du nicht beschreiben. Das geht nur, wenn du innerlich einen Schritt aus ihr heraustrittst.
- Wenn du keine Idee hast, wie du Schritt für Schritt eine Lösung erarbeiten kannst, reite lieber etwas anderes (oder mach etwas ganz anderes mit deinem Pferd). Such dir Rat bei deinem Trainer oder erfahrenen Stallkollegen. Du wirst dein Ziel immer schneller erreichen, wenn du nicht unbeherrscht deinem Pferd gegenüber bist. Für dein Pferd bist du so der bessere Mensch und fühlst dich wohler in deiner Haut.
- Emotional sein ist ok (solange du die negativen Gefühle nicht an deinem Pferd auslässt) Sprich die Gefühle ruhig aus. Auch in deinem Unterricht. Ich bin immer total froh, wenn Schüler mir sagen, dass sie sich gerade wütend fühlen. Und du wirst feststellen, dass du durch das Aussprechen schon Druck ablassen kannst.
- Emotionen sind Energie. Wenn du schon eine Idee hast, wie deine Lösung aussehen kann, reite die Korrektur mit dem “inneren Wumms” deiner Emotion so präzise wie möglich. So nutzt du die Energie der Wut, um etwas Gutes daraus zu erschaffen.
Das ist das Faszinierende am Reiten. Es ist nicht “nur” das Reiten lernen. Zum Reiten gehört meines Erachtens genauso, an der eigenen Persönlichkeit zu arbeiten. Reiten ist eben weit mehr als ein Sport: Es führt uns durch unsere Schwächen zu unseren Stärken und kann uns helfen, eine bessere Variante unserer Selbst zu sein.
Sich bei deinem Lieblingsthema Pferd immer weiter fortzubilden hat den Vorteil, dass du auch in schwierigen Phasen die positiven Momente entdeckst. Mehr dazu erfährst du hier.
Für die Fotos bedanke ich mich herzlich bei Herzenshund-Fotografie. Mehr zu mir als Ausbilderin erfährst du unter Kristina-Janssen.com.