Anlehnung – ein Begriff, der jedem Reiter bereits früh in der Ausbildung begegnet und dessen Bedeutung für gymnastisch gutes Dressurreiten immens ist. Auch du möchtest dein Pferd mit einer schönen Anlehnung reiten. Leider ist das gar nicht so einfach. Die Zügelverbindung ist nicht so weich, wie du sie gerne hättest. Auch wenn dein Pferd zwischendurch nachgegeben hat, wehrt es sich immer mal wieder gegen die Zügelhilfen und nimmt den Kopf hoch. Du merkst schon, das Thema Anlehnung ist riesig. Ich möchte dich dabei unterstützen, dir einen Überblick zu verschaffen.
In diesem Beitrag erfährst du:
- Was der Begriff Anlehnung für mich bedeutet
- Mögliche Ursachen für Anlehnungsprobleme
- Wie Anlehnung und die Gymnastizierung deines Pferdes zusammenhängen
- Wieso Hilfszügel die Anlehnung nicht verbessern
- Meine 4 Basics für einen besseren Zügelkontakt
Was bedeutet der Begriff Anlehnung eigentlich?
Zumindest eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Anlehnung zum Pferdemaul sein sollte, haben die meisten Reiter: Das Pferd soll die Verbindung zur Hand suchen, in der deutschen Reitlehre wird das auch oft als “willig an die Hand herantreten” beschrieben und die Zügelhilfe willig annehmen.
(Wenn du dich an dieser Stelle fragst “Was aber, wenn mein Pferd das nicht macht?” bist du in diesem Beitrag genau richtig. Glaub mir, so wie dir geht es einem Großteil der Reiter.)
Meiner Meinung nach hast du eine sehr gute Zügelverbindung, wenn du dein Pferd in seiner individuell richtigen Dehnung und Aufrichtung reiten kannst, es deine Paraden willig annimmt, gut vorwärts geht, sich auf beiden Seiten stellen lässt und ohne Probleme abwenden lässt. In all diesen Bereichen kann es noch Ausbildungsthemen geben, mach dir also keine Gedanken, wenn du nicht hinter jeden Aspekt eine Haken machen kannst.
Umgekehrt ist es kein Zeichen für eine generell schlechte Anlehnung, wenn dein Pferd sich zwischendurch mal frei macht. Eher ein Lernhinweis für dich, wo die Abstimmung deiner Hilfen noch feiner sein könnte oder auch dafür, wo deinem Pferd noch die Kraft fehlt, eine Lektion auszuführen.
Die richtige Anlehnung ist nichts, was eines Tages fertig ist: Wie euer gesamter Hilfendialog kann sie immer noch feiner werden.
Richtig an den Zügel “anlehnen” soll das Pferd sich auch nicht. Deswegen verwende ich statt des Begriffs “Anlehnung” lieber die Begriffe Zügelkontakt oder Zügelverbindung. Da steckt schon mehr Kommunikation im Wort! Denn du kannst eine Menge tun, damit dein Pferd eine positive Idee hat, auf die Zügelhilfen zu antworten.
Zügelhilfen als Teil der Sprache, mit der wir mit dem Pferd kommunizieren
Vereinfacht ist es so, dass die Zügelhilfen Teil der Sprache sind, mit der wir mit dem Pferd kommunizieren. Die anderen Teile sind die Gewichts- und die Schenkelhilfe. Und als Basis von allem natürlich deine eigenen Gedanken und deine Absicht, mit der du deine Hilfe gibst.
Wie bei jeder Sprache ist es wichtig, die Vokabeln und ihre Bedeutung zu kennen.
Je besser die Vokabeln der “Zügelsprache” von Reiter und Pferd verstanden sind, desto besser können sie miteinander reden. Und desto genauer können sie die Zügelhilfen auch im Dialog mit den anderen Hilfen einsetzen.
Um dieses Verständnis zu verbessern, kann Arbeit an der Hand hilfreich sein. Wenn du neben dem Pferd gehst, brauchst du dich nicht auf deinen Sitz zu konzentrieren. So kannst du dich ganz auf das Erfühlen des Pferdemauls und die Einwirkung deiner Hand einlassen. Wenn du Lust hast, die Arbeit an der Hand zu lernen, findest du hier meinen Onlinekurs “Wundermittel Handarbeit“.
Der Einsatz der Zügelhilfen hat häufig einen negativen Beigeschmack. Werden sie grob gegeben, oder kann der Reiter sie noch nicht richtig dosieren, ist das für das Pferd sehr unangenehm. Trotzdem ist es meines Erachtens nicht der richtige Weg, sie lieber ganz wegzulassen. Vielmehr ist es sinnvoll, sich die anatomischen Zusammenhänge im Pferdekörper und das Lernverhalten des Pferdes Gedanken zu machen. Dann kannst du die Zügelhilfen so einsetzen, dass dein Pferd sie versteht und die Hilfe willig umsetzt.
Zunächst ist es aber wichtig, deinem Pferd den Weg für eine gute Zügelverbindung frei zu machen:
Anlehnungsprobleme – mögliche Ursachen
Mir ist ganz wichtig, dass meine Überlegungen nur gelten, wenn das Management deines Pferdes in Ordnung ist. Nur wenn es körperlich in der Lage ist, die an ihn gestellten Herausforderungen zu erfüllen, können wir auch eine sportliche Leistung (die das Tragen eines Reiters immer ist) verlangen.
- Passt dein Sattel? Wenn du dir dessen nicht sicher bist, kann es ein aufschlussreicher Test sein, einmal ohne Sattel zu reiten. Reagiert dein Pferd nach ein paar Minuten Gewöhnung viel williger auf den Zügel, hast du wahrscheinlich ein Sattelproblem.
- Ist dein Zahnarzt regelmäßig bei deinem Pferd?
- Passen Trense und Gebiss?
- Wird dein Pferd regelmäßig osteopathisch gecheckt?
- Ist dein Pferd in seiner Haltung zufrieden?
Mehr zu diesen Punkten erfährst du in meinem Beitrag „Richtig Reiten reicht nicht“.
Wenn es bei deinem Pferd in diesen Punkten Handlungsbedarf gibt, gilt es, diese zuerst zu lösen. Damit machst du den Weg für harmonische Reiterlebnisse mit deinem Pferd frei!
Wie Anlehnung und Gymnastizierung zusammenhängen
Die Anlehnung beschränkt sich natürlich keinesfalls auf den Zügelkontakt. Vielmehr befindet sich ein Pferd, das unter dem Reiter den Brustkorb anhebt und seine Hinterhand richtig einsetzt, meist auch in einer guten Anlehnung.
Über den Rücken gehen funktioniert nur, wenn der ganze Pferdekörper mitmacht. Dazu gehört die richtige Aktivität (das viel geforderte “von hinten nach vorne”-Reiten) und die Kopf-Hals-Position deines Pferdes. Stefan Stammer beschreibt diese Bereiche in seinem sehr empfehlenswerten Buch “Das Pferd in positiver Spannung” als vorderes und hinteres Bewegungszentrum, die sinnvoll zusammenarbeiten müssen, den Reiter zu tragen.
Ein Pferd, das bereits eine gute Idee hat, sich gymnastisch sinnvoll unter dem Reiter zu bewegen, nimmt die (Zügel-)Hilfen viel besser an, als eines, das noch körperliche Schwierigkeiten hat. Ist die Hilfengebung verstanden, reagiert dein Pferd willig und lernt, sich in einer sinnvollen gymnastischen Kette zu bewegen.
Es gibt also eine Wechselwirkung zwischen der Art und Weise, wie ein Pferd seinen Körper unter dem Reiter benutzt und der Qualität des Zügelkontaktes. Ein Pferd, das körperliche Probleme hat und sich unter dem Reiter noch nicht ausbalancieren kann, wird sich öfter mal rausheben, als ein Pferd, dessen Ausbildung schon weiter vorangeschritten ist. Das ist auch völlig in Ordnung so. Wichtig ist nur, dass du darauf achtest, deinem Pferd oft genug Pausen zu geben, damit es motiviert bei der Sache bleibt. (Mehr dazu erfährst du in diesem Beitrag.)
Die körperliche Befähigung ist auch der Grund dafür, wieso ein Pferd, das an der Longe mit Kappzaum (und ohne Ausbinder) lernt, sich auf gymnastisch sinnvolle Weise zu bewegen, rittiger wird: Es lernt, seinen Körper besser zu benutzen, weswegen es auch beim Reiten auf die Hilfen feiner reagiert. Die Zügelverbindung verbessert sich, weil dein Pferd seinen Körper besser stabilisieren kann.
Wieso Hilfszügel für eine gute Anlehnung kontraproduktiv sind
Ginge es nur darum, dass das Pferd die Nase in Richtung der Senkrechten nimmt, dann könntest du auch ausbinden. Beim Ausbinden stimmt nur die äußere optische Erscheinung. Dein Pferd ist aber wie in dieser Haltung eingerastet, es kann nicht frei durch den Körper schwingen. Außerdem kann es die Haltung nicht verlassen, wenn ihm danach ist. Wenn du schonmal Sport gemacht hast, weißt du sicher, wie erleichternt es sein kann, wenn du einfach mal kurz aus der Übung rausgehst. Diese Möglichkeit hat dein ausgebundenes Pferd nicht.
Die Verwendung von Hilfzügeln schafft kein Verständnis dafür, was die Hilfe bedeutet. Dein Pferd wird in eine Form gezwungen, statt sie als Antwort auf einen Dialog einzunehmen und weil es körperlich in der Lage dazu ist. Nur weil die äußere Form des Pferdes vermeintlich stimmt, ist es deswegen noch keine gute Trainingssituation. Das kannst du bei vielen Pferden beobachten, wenn die Hilfszügelzügel abgemacht werden und sie den Kopf erstmal hoch wie eine Giraffe nehmen.
An die Hilfen stellen – was bedeutet das konkret?
Für mich sind die Zügelhilfen ein Teil der Sprache der Hilfen. Mit ihnen kannst du viel richtig aber auch viel falsch machen. Ich versuche dir hier ein paar grundsätzliche Gedanken mitzugeben. Wenn du aber Schwierigkeiten mit der Anlehnung hast, such dir Unterstützung von einem Reitlehrer, der sich Zeit nimmt, dir genau Dosierung, Einwirkung und Nachgeben zu erklären. Ein “Mehr an die Hand vorantreiben” oder “Jetzt stell ihn mal durch” hat meiner Beobachtung nach noch keinen Reiter zu einem feineren Kontakt zum Pferdemaul verholfen.
Vier Punkte für einen besseren Zügelkontakt
- Wenn du dein Pferd an die Hilfen stellen willst, muss die Aktivität stimmen. Neigt dein Pferd dazu, zu schleichen, mach es erst fleißig und nimm dann den Zügel auf.
(Ist dein Pferd hingegen zu eilig, versuch es durch deinen entspannten Sitz und eine tiefe Atmung herunterzufahren. Wenn möglich, bevor du den Zügel aufnimmst, sonst während du die Zügelverbindung herstellst.)
- Der äußere Zügel ist – allgemein gesprochen – für die Länge des Halses, die Höhe des Genicks und den Grad der Beizäumung zuständig.
Mit dem inneren Zügel kümmerst du dich um die Stellung deines Pferdes. Natürlich wirken sie stets um Zusammenspiel miteinander und deinen anderen Hilfen ein.
- Nachgeben. Das richtige Nachgeben ist das A und O beim an die Hilfen stellen. Vereinfacht sagst du deinem Pferd durch dein Nachgeben: “Das wünsche ich mir von dir.” Und dein Pferd fühlt, dass der Weg, seinen Kopf und Hals in die gewünschte Richtung zu nehmen, frei ist. Es kann die gewünschte Bewegung ausführen.
Wenn du die inneren Finger schließt, zum Beispiel, wenn es nach außen guckt, sagst du ihm “Nein, nicht dahin.” Um dann sofort über das Nachgeben “Ja” zu sagen und das Annehmen der Innenstellung zu belohnen. Mehr zur richtigen Handhaltung kannst du hier nachlesen.
- Die Zügellänge sollte immer zur Zielposition passen: Macht dein Pferd sich zu kurz, lass den Zügel “auf Zuwachs” etwas länger, damit dein Pferd jederzeit die gewünschte Halslänge einnehmen kann.
Neigt dein Pferd zum Auseinanderfallen, muss dein Zügel etwas kürzer sein, als du denkst.
Natürlich funktioniert das nur im Zusammenspiel mit deinen anderen Hilfen. In diesem Beitrag wollte ich einmal den Zügel unter die Lupe nehmen. In dem Verständnis der Zügelhilfen liegt so viel Potential für ein feineres Miteinander!
Schreib mir gern, welche Fragen du noch hast! Ich wünsche dir und deinem Pferd eine wundervolle Verbindung zueinander von Herz zu Herz und natürlich auch von der Hand zum Maul 😉
Wie immer danke ich Herzenshundfotografie für die schönen Fotos! Mehr zu mir als Trainerin erfährst du auf https://www.kristina-janssen.com/