In der Reiter-Bubble taucht aktuell immer wieder ein Thema sehr prominent auf: Biotensegrales Training, oder auch Faszientraining. Ganz grob geht es um das Auflösen von Dysbalancen im Pferdekörper und das Erlernen gesunder Bewegungsmuster. Für Felina und mich ist das tensegrale Training an der Longe eine große Unterstützung, seit wir es Anfang 2023 kennengelernt haben. In diesem Beitrag möchte ich dir erzählen

  • Was du dir unter “Faszientraining” vorstellen kannst
  • Wieso Pferd und Mensch von diesem Training profitieren
  • Wieso es eine wertvolle Ergänzung zu einer sinnvollen Gymnastizierung sein kann

Bevor wir inhaltlich einsteigen, nehme ich dich mit auf eine kleine Reise durch Felinas und meine Vergangenheit. Das ist wichtig, damit du weißt, wo wir standen, als mir das biotensegrale Training über den Weg lief.

Wie ich zum biotensegralen Training kam

Felina ist mit einem massiven Beckenschiefstand und einem unregelmäßigen Bewegungsablauf hinten zu mir gekommen. Dies wirkt sich auf den ganzen Körper aus. Natürlich habe ich sie kontinuierlich von sehr guten Therapeuten behandeln lassen. Trotzdem war ihre Geraderichtung sehr herausfordernd.

Und das, obwohl ich mich beruflich von Anfang an intensiv mit der funktionalen Anatomie von Pferd und Mensch beschäftigt habe. Ich wusste z.B., was ein CTÜ (also der Cervicothorakaler Übergang zwischen der Hals- und der Brustwirbelsäule) ist und dass er für eine gymnastisch sinnvolle Bewegung sehr wichtig ist, bevor er in aller Munde war. Und dass sich hinter dem in der Reitersprache üblichen “über den Rücken gehen” ein angehobener Brustkorb verbirgt, hatte ich auch früh verstanden.

Bei Felinas Ausbildung gab es Punkte, an denen ich nur sehr kleinschrittig vorankam oder ich das Gefühl hatte, nie so richtig zum Kern des Problems vorzudringen. Die korrekte Linksstellung blieb immer mehr oder weniger schwierig, mit allen Konsequenzen, die das für ihren Körper bedeutet. Auch der (regelmäßig optimal angepasste) Sattel zog aufgrund der Schiefe in ihrem Körper immer zu einer Seite, was ziemlich nervig war.

Bei einem Osteopathietermin von Felina erzählte mir die behandelnde Therapeutin Dr. Theresa Gather von einer Tierärztin, die eine Trainingsmethode anwendet und vermittelt, bei der der Mensch sein Pferd unterstützen kann, alte und dysfunktionale Bewegungsmuster sehr effektiv durch neue, gesünder zu ersetzen. Nachdem sie Grundzüge dieser Arbeit gezeigt hatte und ich beobachten konnte, wie positiv Felina darauf reagiert hat, machte ich mich auf, um bei Veronika von Rohrscheidt zu lernen.

Vronis Arbeit hat mich direkt begeistert. Ich habe beeindruckend große Veränderungen bei den Pferden gesehen, mit denen sie gearbeitet hat. Ihre präsente und liebevolle Art mit den Pferden und ihr großartiges Timing bei der Arbeit hat mich direkt sehr beeindruckt. Kurzum: Das wollte ich auch lernen. Ich habe mir dann jeden für mich möglichen Kurs in der Nähe angeschaut. Außerdem hatte ich das Glück, in dem Jahr noch eine Woche bei Vroni in Bayern zu hospitieren. Anfang 24 hat sich dann mein großer Wunsch erfüllt, Felina Vroni auch live vorzustellen und seitdem kann ich regelmäßig mit ihr an Kursen teilnehmen. 

Doch was unterscheidet dieses Training nun von dem bekannten gymnastisch sinnvollen Longieren?

Das Prinzip – Kompensationen auflösen und die gesunde Bewegung trainieren

Beim tensegralen Training wird also erstmal eine “Bestandsaufnahme” der Bewegung gemacht. Wo fließt die Bewegung durch den Körper? Wo stockt sie? So kann auf jedes Pferd tagesformabhängig optimal eingegangen werden.

Dann wird das Pferd unterstützt, die problematischen Verspannungen loszulassen.

Den Pferden durch Berührungen und bestimmte Griffe geholfen, sich besser wahrzunehmen und Verspannungen loszulassen. Dadurch werden Strukturen sofort gelockert und gelöst. Der Körper wird beweglicher. Bewegung fließt wieder besser hindurch. Die Pferde dürfen nach dem Anfassen auch im Schritt in sich hineinfühlen.

Die Veränderung zu beobachten, die dann unmittelbar passiert, ist faszinierend. Es ist ein sehr schönes  Gefühl, dass du (auch als Nicht-Therapeutin) deinem Pferd helfen kannst, sich freier zu bewegen. Gleichzeitig wird dein Auge geschult. Deine Wahrnehmung für gesunde Bewegung verfeinert sich, wenn du beginnst, dich mit dem tensegralen Training auseinanderzusetzen. Voraussetzung ist, dass du bereits ein sehr gutes Timing besitzt oder bereit bist, es zu lernen. Wie in allen Bereichen der Pferdeausbildung entscheidet dein Timing im Nachgeben darüber, wie gut dein Pferd verstehen kann, was du dir von ihm wünscht. Da das Anfassen ja immer etwas sehr persönliches ist, ist es hier besonders wichtig, um das tensegrale Training wirklich achtsam und effektiv anzuwenden. 

Nach dem lösenden Teil wird das nun mögliche, gesunde Bewegungsmuster trainiert, damit die Pferde lernen, sich auf eine für ihren Körper sinnvolle Weise dynamisch zu stabilisieren. 

Das Pferd bekommt ein anderes Körperbewusstsein und die Regulation des Nervensystems wird verbessert. Es kann sich wieder freier in jede Richtung bewegen – so wie die Natur es für seinen Körper vorgesehen hat.

Um das besser nachvollziehen zu können, stell dir den Faszienkörper (stark vereinfacht) wie einen optimal sitzenden Tauchanzug vor: Er macht jede Bewegung mit, du spürst ihn nicht. So ist es, wenn ein Körper optimal funktioniert.

Problematisch wird es dann, wenn jemand z.B. in der Taille eine Naht eingefügt hat. Sie zieht dich immer schief. Du kannst dich nicht gerade hinstellen, auch wenn du dich bemühst. Du kannst so viel geraderichtendes Training machen, wie du willst, die Naht zieht dich immer wieder schief. 

Das ist so lange so, bis du diese Naht löst.

Verkürzungen oder Verspannungen in unseren Faszienstrukturen haben einen ähnlichen Effekt. Sie können verhindern, dass dein geraderichtendes Training greift.

 So ging es mir und Felina. Mein Training vorher war gymnastisch sinnvoll, war aber nie so effektiv, weil es immer noch “alte Nähte” gab, die sie in ihre Schiefe zurückzogen. So haben wir uns zwar mühsam immer ein bisschen verbessert, aber als wir anfingen, das tensegrale Training zu integrieren, war das ein echter Befreiungsschlag für viele unserer reiterlichen Themen. Fortschritt ist seit dem viel leichter (und schneller) möglich.

Vronis Arbeit hat ihren Ursprung in der Therapie von Pferden, die an einer myofaszialen Dysfunktion leiden. Diesen Pferden ist es nicht möglich, ihren Körper frei zu benutzen und sich in der Bewegung dynamisch zu stabilisieren. Bestimmte Bewegungen sind dann zunehmend weniger möglich: Sie haben Kompensationmuster entwickelt. Diese entstehen dann, wenn Stabilisationsmuskulatur nicht stabilisieren kann und die Bewegungsmuskulatur diese Aufgabe mit übernehmen muss. Die gute Nachricht ist: Da es sich um eine myofasziale Dysfunktion handelt, ist es auch möglich, sie wieder in Funktion zu bringen.

Kompensationsmuster sind aber nicht nur bei Pferden mit schwerwiegenden Problemen zu finden. Wenn es deinem Pferd eigentlich gut geht, aber bei dem Besuch der Osteopathie immer wieder die gleichen Blockaden gelöst werden, ist dafür auch eine Kompensation verantwortlich. Auch hier unterstützt das Faszientraining sehr.

Positive Effekte für Pferd und Mensch

Viele Menschen haben zunächst Schwierigkeiten, die Veränderungen in den Faszienstrukturen des Pferdes zu spüren. Das ist ganz normal: Wenn du nicht gerade Physiotherapeutin bist, gibt es wenig Gelegenheiten, bei denen man so intensiv ins Fühlen kommt. Wie alles, lässt es sich aber lernen. Und bei den meisten geht das viel schneller, als sie anfangs dachten. 

Die Freude, wenn du ins Fühlen kommst und merkst, dass deinem Pferd diese einfachen Handgriffe so gut tun und du so einen großen Unterschied machen kannst, berührt mich jedes Mal wieder sehr.

Natürlich sind wir keine Therapeuten, sondern “nur” Pferdebesitzer, die ihr Pferd auf dem Weg zu einem immer besseren Körpergefühl unterstützen wollen. Entsprechend achtsam gilt es, das Pferd zu berühren und auf seine Reaktionen zu achten. Deswegen finde ich es auch wichtig, sich jemanden mit Erfahrung zu holen, der dir eine Einführung in die Arbeit gibt und auch danach immer mal wieder guckt, ob alles in die richtige Richtung geht.

Wenn du anfängst, dich so mit deinem Pferd zu beschäftigen, nimmt dein Wissen über anatomische Zusammenhänge zu. Natürlich hört das nicht bei deinem Pferd auf. Viele Reiterinnen, die angefangen haben “Faszientraining” mit ihrem Pferd zu machen, haben sich dann auch viel intensiver mit ihrem Körper beschäftigt, wodurch sie fitter und gerader in den Sattel gestiegen sind.

 In einer Zeit, in der jeder Mensch ungeachtet seines reiterlichen Könnens jedes noch so scharfe Gebiss kaufen und nutzen kann, finde ich die Tendenz, selber ins Fühlen zu kommen, sehr wertvoll. Es ist faszinierend, wenn du am Tag nach dem Reiten schon beim Putzen merkst, wo sich dein Pferd eventuell fester anfühlt. Ein tolles, sehr feines Feedback bzw. Korrektiv für dein Reiten!

Natürlich kann diese Arbeit nicht den Besuch eines Therapeuten, z.B. der Osteopathin, ersetzen. Meine Erfahrung ist aber, dass Pferde, die tensegral gearbeitet werden, sich besser auf die Behandlung einlassen können und die Behandlungen oft nachhaltiger sind und tiefer gehen.

Das möchtest du auch ausprobieren?

Ich unterstütze dich gerne, wenn du ausprobieren möchtest, was das biotensegrale Training für dich und dein Pferd tun kann. Hier findest du mehr Informationen zu meinem Angebot.

Biotensegrität – großartiges Erklärkonzept und Modewort

Erstmal vorweg: Biotensegrität beschreibt erstmal keine Trainingsmethoden, sondern ist ein Erklärkonzept der funktionalen Anatomie, wie beispielsweise auch die Biomechanik.

Die Biotensegrität beschreibt, wie sich ein Körper im Raum mittels fester Elemente (Knochen) und elastische Elemente (Muskeln, Faszien, Sehnen) aufspannen kann und, wenn alles in Funktion ist, alle möglichen Belastungen kompensieren kann und danach wieder in seine Ausgangsform zurückkehren kann. So wie ein gesunder Körper das idealerweise auch kann.

Du findest hierzu mittlerweile viele gute Erklärungen im Internet.  

Viele Kritiker bleiben an dem Namen “biotensegrales Training” hängen, weil Bewegung immer biotensegral ist, völlig unabhängig von ihrer Qualität. Es ist die Art und Weise, wie unsere Körper funktionieren 

Aus dem gleichen Grund ist der Begriff “Faszientraining” schwierig. Faszien sind in jede Bewegung involviert. Bei jeder Bewegung werden also auch immer Faszien trainiert, egal ob das Training jetzt die Fitness des Pferdes fördert, oder den Verschleiß des Körpers.

Das biotensegrale Training oder Faszientraining legen die Biotensegrität und die Effekte, die Faszien haben, konsequent zu Grunde. Von daher finde ich, dass es durchaus gerechtfertigt ist, es so zu bezeichnen. Insgesamt finde ich es eine sehr positive Entwicklung, dass die Biotensegrität jetzt insgesamt stärker in der Pferdeausbildung thematisiert wird und mehr Menschen bekannt ist. 

Modell Tensegrales Training

Fotos: Herzlichen Dank an Marie-Christin Zurbrüggen von Herzenshundfotografie!

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